Ur- und frühgeschichtliche Besiedlung der „Vogtei Dorla" und das Opfermoor Oberdorla von Prof.  Günther Behm-Blancke in „Heiligtümer der Germanen und ihre Vorgänger in Thüringen (darin der Aufsatz „Die Kultstätte Oberdorla“) herausgegeben vom Thüringischen Landesamt für Archäologische Denkmalpflege Weimar

Die Region Vogtei ist nicht nur mit vielfältigen Naturschönheiten versehen, son­dern auch von kulturhistorischer Bedeutung. Der Begriff Vogtei wurde bereits im frühen Mittelalter für die Orte Oberdorla, Niederdorla und Langula geprägt und ist zurückzuführen auf eine gemeinsame Verwaltung der Orte durch einen Vogt.

Das Thüringer Becken findet hier an der Ostseite des Hainichs seinen südwest-seitigen Abschluss. Eine Landschaft, die zum Verweilen einlädt, denn Ruhe und Beschaulichkeit sind hier gegeben. Bodenbildende Gesteinsmassen des Muschel­kalks werden überlagert durch Keuperformationen. Im Erdinneren finden wir leichtlösliches Gestein wie Kalk, Gips und Steinsalz.

Durch Auslaugungsprozesse wird das Gestein ausgewaschen und es entstehen große Hohlräume, die bereits zu Erdfällen führten. Auch heute noch sind die Quelltöpfe der Erdfallquellen Melchiorborn und Kainsprung Besuchermagnet für  Wanderer und Heimatfreunde.

Die hoch anstehenden Gesteinsbänke des Muschelkalks, besonders im Bereich des Kuhkopfs, haben sich als hervorragender Baustein erwiesen und werden bis in die heutige Zeit abgebaut.

Aufgefundene Gräber und Siedlungsfunde lassen auf eine Besiedlung seit der Jungsteinzeit um 5 500 vor Chr. schließen. Die aufgefundenen Gräber nördlich des Roten Grabens, beim Windberg in der Gemarkung von Niederdorla, bringen den Nachweis der ersten bäuerlichen Kultur, der Linienband- und Stichband­keramik. Weitere Grabfunde der Rössnerkultur 4600-4200 v. Chr. und der Wartbergkultur um 3000 v. Chr. am Töpfersberg von Oberdorla lassen auf eine durchgehende Besiedlung der Region schließen. Bekräftigt wird diese Aussage durch die Funde aus der Frühen Bronzezeit auf dem Sportplatz von Oberdorla. Erste Reste von Gebäuden hinterließen unsere Vorfahren in der Hallstattzeit (600 v. Chr.) zwischen den Mahllinden und der Grundmühle Niederdorla. Sie lebten in mehrpfostigen Grubenhäusern, die mit Stroh oder Schilf eingedeckt waren. Über Lebensart, Lebensweise und Handwerkstechniken ist uns leider wenig über­liefert.

Nähere Erkenntnisse über ihre Kultur bringen uns die Funde aus dem Opfermoor. An der Südwestgrenze eines Moores, das sich in einem großen Erdfallbecken nördlich von Niederdorla gebildet hatte, wurde durch die ansässige Bevölkerung ein Opferplatz angelegt. Im Laufe der Jahre zeigte die einheimische Bevölkerung emsige Opfertätigkeit. Neben dem ersten Heiligtum, einem Brandaltar aus Muschelkalksteinen, an dem Speiseopfer in Gefäßen aus gebrannten Ton darge­bracht wurden, entstanden 11 weitere Opferstätten, die bis zum Beginn der Latenezeit ( um 450 v. Chr.) eifrig aufgesucht wurden. Als Gottheiten dienten

 

 

einfache Darstellungen aus verschiedenen Holzarten. Im zweiten Heiligtum fin­den wir zwar als Gottheit eine Steinstele von 2 m Höhe vor, die durch den abge­setzten Kopf als Götterfigur gut erkennbar war, aber alle weiteren Nachbildungen von Göttern in dieser Zeit wurden durch einfache Klotzidole oder Pfähle ohne abgesetzten Kopfteil dargestellt. Hier wurden neben Tier- und Sachopfern auch vier Menschenopfer gebracht. Die aufgefundene Gebrauchskeramik erbrachte den Beweis über kulturelle Beziehungen und Gemeinsamkeiten nach Hessen, Nordwestdeutschland, in die Rhön und in das südöstliche Gebiet des Harzes. Mit dem Erscheinen der Ostgermanen der Oder-Warthe-Gruppe wurden neben der Siedlung an den Mahllinden weitere Siedlungen angelegt. Man fand ihre Spuren an der Löhre nördlich des heutigen Sägewerks Hohmann, links und rechts neben der Landstrasse, sowie in der Wüstung Lingula bei Langula. Auch hier siedelten sie über mehrere Jahrhunderte.

Steinkopf-Idol

Motiviert durch die plötzliche Entstehung eines Sees im Areal der Opferstätte, entstanden 26 Heiligtümer. Aus dem kleinen Opferplatz entwickelte sich ein bedeutender Kultplatz. Als Tier­opfer stand das Rind an erster Stelle, aber auch Menschenopfer wurden gebracht. Als Nachbil­dungen von Gottheiten erschie­nen nun Pfahl-, Brett- und Kantholzidole mit abgesetztem Kopf sowie Astgabelidole in der Sphäre der Götterverehrung.


 

Lange Kultstangen begleiten die Götternach­bildungen. Sie standen überwiegend neben den viereckigen Rasen- oder Plaggenaltären und gaben dem Heiligtum ein besonderes Aussehen. Die sakrale Abgrenzung des heili­gen Ortes gegenüber der profanen Außen­welt übernahm ein Flechtwerkzaun aus Weidenruten. Die Spätlatenezeit schließt ab mit einem großen rechteckigen Heiligtum, in dem eine Göttertriade (drei verschiedene Gottheiten) verehrt wurde, dass heißt, nicht nur die ortsansässige Bevölkerung, sondern verschiedene Sippenverbände brachten hier ihre Opfer.Neben dem Individualopfer wur­den nun auch Gemeinschaftsopfer gebracht.

Astgabel-Idol                                           

 

Mit dem Ausklingen der Spätlatenezeit und dem Beginn der Frühen Römischen

Kaiserzeit (ca. um 40 v. Chr.) erschienen Astgabel-Idole der Elbgermanen

(Hermunduren) in unserer Region. Sie siedelten südlich vom heutigen Grund-

mühlenweg in der Gemarkung Niederdorla.

Heute ist diese Stelle bekannt unter der Bezeichnung Siedlung am Mahllinden-

feld, auch als Rübenwäsche bei den Einheimischen geläufig, deren Besiedlung

bis in das 13. Jahrhundert archäologisch nachgewiesen wurde.

Die Hermunduren legten südlich des Kultsees ein großes Rundheiligtum an.

Dieser große Opferplatz, auch Pantheon genannt, diente zur Verehrung mehre-

rer Gottheiten. Auch hier finden wir die Triade in Form eines Astgabelidols, eines

Pfahlidols und einer Kultstange vor. Diese Göttertrinität bezeugt einen neuen

Status der Opferstätte. Aus der kleinen Opferstätte einer Familie oder Sippe hatte

sich ein Gebietsheiligtum einer großen Kultgemeinschaft entwickelt. Die

Bevölkerung aus dem weiten Umfeld erschien hier zur Teilnahme an den Opfer-

handlungen.

Die nördlich des Rundheiligtums in großer Eile angelegten zwei Opferstätten

bezeugen diesen Sachverhalt.

Neben einem Schwert, als Göttersymbol, wurden die Knochen von vier Rindern

und der Schädel eines Menschen als Opfer dargebracht. Da zu dieser

Opferzeremonie vier Rinder verspeist wurden, müssen viele Personen an der

Kultmahlzeit teilgenommen haben. Für eine so große Opfergemeinde war sicher-

lich das Opfermoor zur Einnahme der Kultmahlzeit nicht der rechte Ort. Es muss

 

 

also einen Versammlungs- oder Thingplatz gegeben haben, wo derartige große Opfermahlzeiten vorbereitet und eingenommen wurden. Leider ist uns der Standort eines solchen Platzes bis heute verborgen geblieben.

Gegen Mitte des ersten Jahrhunderts nach Christus verließen die hier ansässigen Hermunduren unser Gebiet und die Rhein-Wesergermanen (Chatten) nahmen nun entscheidenden Einfluss auf die Siedlung bei den Mahllinden. In der Römischen Kaiserzeit, vom l. bis 4. Jahrhundert n. Chr., wurden weitere Siedlungsplätze im Sandfeldchen, im Kögen und bei der Schulbachsbrücke in der Gemarkung Oberdorla angelegt.

Die Heiligtümer in Form von Pantheons fin­den wir noch bis in die mittlere Römische Kaiserzeit in der Kultstätte vor. Das Aussehen der Götterbilder unterscheidet sich kaum von denen der Spätlatenezeit. Während weibliche Gottheiten als Astgabelidol oder Brettidol dar­gestellt wurden, waren männliche Götter durch Phallus- oder Pfahlidole vertreten. Kult­stangen hatten je nach Länge und Ausfüh­rungsart unterschiedliche Bedeutung. Kurze Kultstangen dienten hauptsächlich zur Befestigung vonTi'erschädeln. Längere Kultstangen mit einer Gabel am obe­ren Ende wurden zur Aufhängung von Tier­knochenopfern genutzt. Die lange gerade Kultstange mit schräger oder gerader Schnitt­stelle am oberen Ende wurde als Vertreter einer Gottheit angesehen. Die Idole und Kult­stangen wurden aus verschiedenen Holzarten hergestellt, wobei Weißdorn an erster Stelle stand.

Kleine Göttin

Mit dem Ausklingen der Mittleren Römischen Kaiserzeit nahm die Opfertätigkeit stark ab. Für die Späte Römische Kaiserzeit konnte nur ein Opferplatz nachge­wiesen werden, das Heiligtum der kleinen Göttin (Diana). Diese kleine Göttin spielte eine ganz besondere Rolle in der langjährigen Opfergeschichte. Schon ihr Äußeres hebt sich von den bisher gefundenen Götter­bildern wesentlich ab. Während die Idole, von Fachleuten als anthropomorphe Figuren bezeichnet, relativ primitive Darstellungen waren, ist die kleine Göttin


aus Lindenholz eine deutlich erkennbare Frauengestalt. Die angedeuteten Brüste

geben ihr das Aussehen der Weiblichkeit. Eine wulstartige Erhöhung quer über

den Kopf und die tiefliegenden Augen verleihen ihr ein mystisches Äußeres.

Kultfiguren  mit  ähnlichem Aussehen  wurden  in  Frankreich  bei  Dijon

(Quellgebiet der Seine) gefunden.

Da im Opferbezirk der kleinen Göttin

Rinderknochen gefunden wurden, die

wesentlich   größer   waren   als   die

Knochen von germanischen Rindern

und  ihrer  Größe  nach  römischen

Tieren    entsprachen,    besteht    die

Möglichkeit, dass die kleine Göttin

und die Rinder ein Import aus dem

damaligen Gallien sein könnten.                               Keilerschädel

In der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts kamen die Hermunduren aus dem Süden zurück in unsere Region. Vielleicht hat ein germanischer Krieger, welcher dort im Einsatz war, die kleine Göttin und die römischen Ochsen mitgebracht. Dieser Göttin wurden unter anderem verschiedene Wildtiere als Opfer gebracht. Dabei wurde im Allerheiligsten der Gottheit, einer überdachten Altaranlage, auch ein Wildschweinschädel deponiert

Im Umfeld dieses Opferplatzes wurde des Weiteren das Skelett eines 15-jähri­gen Mädchens gefunden. Keinerlei Beschädigungen der Skeletteile deuten auf eine Tötung des Mädchens hin. Es ist anzunehmen, dass dieses Mädchen eines natürlichen Todes gestorben ist. Dafür spricht auch die Auffindung eines Sarges, der in vielen Einzelteilen im weiteren Umfeld des Heiligtums gefunden wurde.

Zu dem Heiligtum führte ein 300 Meter langer Prozessionsweg aus westlicher Richtung, dessen Seiten links und rechts des Weges mit Hundeschädeln markiert waren. Die Teilnehmer an den Opferzeremonien sind also aus westlicher Richtung zum Opferplatz gelangt. Das besagt wiederum, dass der Versammlungsplatz der ansässigen Bevölkerung auch in westlicher Richtung lag. Der Name Diana für diese Göttin ist auf die ihr dargebrachten Wildtieropfer zurückzuführen. Insbesondere spielt dabei der geopferte Wildschwein- und Hirschschädel eine entscheidende Rolle, denn diese Tiere sind als Attribute der Gottheit anzusehen. Der Name Diana ist auch aus der Passionsgeschichte des heiligen Kilian bekannt. Noch am Ende des 7. Jahrhunderts und zu Anfang des 8. Jahrhunderts wurde in Thüringen und in Hessen eine Göttin Diana verehrt, die auch heute unter dem Namen Holda oder Holle in den Märchenbüchern zu finden ist. Leider bestand diese Kulteinrichtung nicht sehr lange.

Bei der Grabung wurde nicht nur der Sarg, sondern das gesamte Heiligtum zer­stört aufgefunden. Die kleine Göttin musste aus vielen Einzelteilen zusammen­gesetzt werden. Ein Zeichen politischer und religiöser Auseinandersetzungen, die sich auch auf den Kultplatz ausgewirkt haben könnten.

Im gesamten Siedlungsraum der Hermunduren hatte ein Umwandlungsprozess begonnen, der zu einer Strukturveränderung des Stammes führte. Der Stamm nannte sich nun die „Thoringe", eine Fusion mehrerer Stämme, darunter auch die Angeln und Warnen, hatte stattgefunden.

Zeitlich chronologisch schließen sich dem oben genannten bedeutenden

Heiligtum die Opferplätze der Völkerwanderungszeit (5. Jh. n. Chr.) an.

Von religionsgeschichtlich großer Bedeutung sind auch die „Signa" zweier Kultschiffe mit besonderer Prägung.

Rekonstruktion des Schiffsheiligtums

Ein langes mit Ruten abgestecktes Schiff (Länge 6 m, Breite l ,5 m) in Fahrt­richtung SO nach NW wurde zur Verehrung einer männlichen Gottheit angelegt. Der Schädel eines Hengstes wurde auf einem Holzpfahl als Attributtier dieser Gottheit in der Mitte des Schiffes neben einen kleinen Altar angebracht. Im Bug des Schiffskörpers steht als Vertreter des germanischen Gottes ein Pfahlidol mit einer Mundkerbe. Die primitive Darstellung der Götterfigur erinnert uns an die Kultfiguren, welche bereits in den Rundheiligtümern vorgefunden wurden. Benachbart zum langgestreckten Schiff finden wir das „Signa" eines kleinen Bootes mit abgeschnittenem Heck. Das W-O orientierte Boot diente zur Verehrung einer weiblichen Göttin. Ihr wurde ein Rind geopfert. Ein Idol war nicht vorhanden.

Im 6. Jahrhundert klingt die Opfertätigkeit stark ab. Überwiegend Hunde wur­den teilweise bis ins 11. Jahrhundert geopfert, jedoch eingehegte Opferplätze waren kaum noch vorzufinden. Der letzte große eingehegte Opferplatz aus dem 6. Jahrhundert wurde durch Brand zerstört.


Dieser Tatbestand könnte mit der Christianisierung der Thüringer durch die Franken in Verbindung stehen, las Priestergrab von Schlotheim um 600 n. Chr. weist auf eine frühe Christianisierung in unserer Region hin.

Da bis zur ersten Erwähnung einer Kapelle auf dem Anger von Oberdorla noch etwa 200 Jahre vergehen, ist die Frage zu stellen, wo und wie hat die einheimi­sche Bevölkerung in diesen Zeitraum ihren Glauben bekundet.

Im Thüringer Königreich bezog sich die Christianisierung vermutlich nur auf das arianische Christentum. Dieser Christianisierungsprozess beschränkte sich im wesentlichen auf die adlige Oberschicht und hatte somit keinen Einfluss auf das Opfermoor. Erst nach der Zerschlagung des Thüringer Königreiches um 531 durch die Franken erfolgte die Christianisierung nach dem katholischen Glauben in Thüringen. Aber auch jetzt wurde der christliche Glaube nicht zur dominie­renden Religion, denn Bonifatius beschwerte sich noch im 8. Jahrhundert über den Irrglauben der Thüringer.

Die christianisierte Bevölkerung besucht nicht nur die Heilige Messe des Christentums, sondern auch die Opferprozessionen der heidnischen Priester.

In anderen Landschaftsgebieten des heutigen Deutschlands ging man dazu über, mit Prozessionen durch Feld und Flur die Götter zu verehren und ihren Segen zu erbitten.

Man opferte bei diesen Flurprozessionen an heiligen Eichbäumen, heiligen Quellen oder Steinen, sowie auf den Saatfeldern. Nach einem Bericht aus dem Kloster Schildesche bei Bielefeld (Niedersachsen) wissen wir, dass bei diesen Prozessionen neben den Opfertieren eine verhüllte Götterfigur auf einem Wagen mit Ochsen bespannt mitgeführt wurde.

Vielleicht wurden diese Prozessionen auch bei uns durchgeführt und die ver­hüllte Götterfigur auf dem Wagen könnte mit unserem Schößmeier in Verbindung stehen.

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All diese Erkenntnisse über den Glauben und die Opfertätigkeit unserer Vorfahren verdanken wir dem Professor Dr. Günther Behm-Blancke aus Weimar, der in jahrelanger Forschungstätigkeit die Ausgrabung im Torfstich Oberdorla leitete und die Ergebnisse im Auftrag des Museums für Ur- und Frühgeschichte Weimar wissenschaftlich auswertete.


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