Oberdorlaer Brauchtum und Trachten   entnommen der Festschrift 1200 Jahre Oberdorla 2005                

 

 

Denkmäler und Gerichtstisch

Altes Brauchtum

In den drei Vogteidörfern wird heute noch uraltes Brauchtum gepflegt. Die bei­den Feiertage Pfingsten und Kirmes verbringt die weibliche und männliche Jugend im Gelage, das Rechnung genannt wird. Alles was an diesen Tagen gemeinsam verzehrt und getrunken wird, schreiben die beiden Platzmeister auf eine Rechnung, die Summe wird am Ende der Feiertage durch die Anzahl der Burschen geteilt und so gemeinsam bezahlt.

Schon vor den Pfingsttagen wird gemeinsam geplant und das Pfingstsymhol, die Maie, eine Birke vor das Rechnungslokal gestellt. Am ersten Pfingsttag gehen die Pfingstburschen in die Kirche. Am Nachmittag ist Angertanz, hier fehlen auch die Eltern und andere Dorfbewohner nicht, besonders die Mütter sind auf das neue Kleid der Tochter stolz. Am Abend ist Tanz auf dem Saal. Der Hauptfeiertag ist der zweite, früher der dritte Pfingsttag. Um 9 Uhr ertönt die Sirene und ruft die Feuerwehrleute zur Spritzenprobe zum Dorfbach. Hier versuchen die Rechnungsburschen den Feuerwehrleuten das Strahlrohr zu entreißen. Es ent­steht eine Wasserschlacht, bei der kein Teilnehmer trocken bleibt, doch alle schei­den in Einigkeit und guter Laune.


Angertanz zu Pfingsten


Um 10 Uhr klingelt der „Schößmeier" durch den Ort, mit dessen Hilfe die Burschen eine Bierzeche sammeln. Es ist ein Laubkegel, in dem früher ein Junge

Schößmeier

saß, der auf den Anruf: „Stuffo pfief, laut mit einer Pfeife antwortete. So wollten unsere Vorfahren vor mehr als 1000 Jahren erfahren, ob nach der Einführung des Christentums auch die alten Götter, hier der Sondergott der Vogteier, der Stuffo noch lebt. Um 1200 verboten die Kirchenbehörden den heidnischen Missbrauch. Die fin­digen Leute unserer Heimat setzten dem Schößmeier ein Blumenkreuz auf, mit diesem christlichen Symbol durfte er weiter durch die Dörfer fahren. Doch nach 1700 kam ein neues Verbot gegen das heidnische Symbol. Nun baten die Dorfbewohner der jetzigen Vogtei die Vögte um Hilfe „Sie setzten dem Schößmeier eine sächsische und eine mainzische Fahne auf, so durfte er weiterhin gezeigt werden." Mit zwei Fahnen und einem Blumenkreuz fährt auch im Jahre 2005 der Schößmeier noch durch das Dorf. Für die Teilnehmer an der Rechnung dauert die Pfingstfeier noch eine ganze Woche.

• Mit dem Strohbären wird Dienstags gesammelt, Würste, Getränke, Eier, 'Zigaretten und andere Spenden. Damit man noch lange gemeinsam feiern kann. Aber auch der Strohbär ist eine mystische Gestalt. Einst verbrannten die

Rechnungsburschen mit Strohbär

Oberdorlaer an der Hölle, einem geheim­nisvollen Erdein­schnitt am „Heißen Stein", etwa 200 m von der jetzigen Kauf­halle „tegut" entfernt, jährlich eine Stroh­puppe. An dieser Stelle stand ein „Menhier" Opferstein, der beim Bau der elektrischen Überlandleitung aus Unwissenheit zerstört wurde.


1666 verbrannten hier die Oberdorlaer ihr Opfersymbol aus Stroh. Kinder ent­fachten im Dorf ein Nachahmungsfeuer, der halbe Ort brannte nieder. Zu dieser Zeit wurde beschlossen, den Strohbären durch das Dorf zu führen. Anstatt wie damals Unheil anzurichten, dient er, - ein Bursche in Strohumhüllung und mit Bärenmaske - nun wieder zum Sammeln einer Bierspende. Im Gefolge der Rechnungsburschen verweilt der Bär nun hauptsächlich bei den Rechnungsmädchen, dort wird getrunken und gescherzt. Am Schenkabend ist wieder Tanz, da kommen die Mädchen mit ihren Gaben, die zur Begleichung der Rechnung gedacht sind.

Vogteier Kirmes

1274 wurde die neu erbaute Oberdorlaer Kirche eingeweiht, dabei wurde der Zeitpunkt der jährlichen Kirchweihfeiern auf den Sonntag nach Kreuzerhöhung festgelegt. Hier und überall wurden die Kirchweihfeiern sehr ausgelassen gefei­ert, das führte sogar zur Vernachlässigung der Feldarbeiten. Deshalb wurden im 16. Jahrhundert alle Kirmesfeiern in die Zeit der ländlichen Arbeitsruhe verlegt. Von dieser Zeit an feiern alle drei Vogteiorte ihre Kirmes am gleichen Tag. Die Rechnungsgemeinschaften in den drei Dörfern nutzen das Fest zu einem aus­gelassenen Festgelage, das eine ganze Woche dauert. Rechnung deshalb, weil die gemeinsame Zeche erst am Ende der Feier bezahlt wird. Zwei verantwor­tungsvolle Burschen werden als Platzmeister eingesetzt, sie sind die Ver­trauensleute der Rechnungsburschen und die Mittler zwischen der Rechnungs­gesellschaft und dem Wirt; dem Bürgermeister gegenüber sind sie für einen ordentlichen Ablauf der Feiern verantwortlich. Die Platzmeister tragen am Jackenrevers ein Blumenbukett, bei allen wichtigen Veranstaltungen werden sie von ihren Ehrendamen begleitet, mit denen sie auch den Angertanz eröffnen. Am Kirmessonnabend bewegt sich der lange Fackelzug durch die Straßen des Ortes. Wie eh und je wird an einer Stelle gehalten, wo vor 100 Jahren noch keine Häuser standen, an der ehemaligen Grenze zwischen der Flur und dem Ort. Hier wird in das Kraut geblasen, indem die Platzmeister mit ihren Ehrendamen an dieser Stelle den Kirmestanz eröffnen.

Der Tanz an dieser Stelle lässt den Gedanken aufkommen, dass es sich um ein Relikt eines alten Erntedankes handelt. Nach dieser kurzen Einlage wird zum Anger marschiert, danach ist Tanz auf dem Saal. Auch am Abend des ersten Kirmestages findet Tanz auf dem Saal statt, an dem natürlich alle Dorfbewohner teilnehmen können, die sich noch jung fühlen. Am ersten und zweiten Kirmestag veranstalten die Rechnungsteilnehmer den Angertanz, im uralten Lindenrund des schönen Angers. Dabei gehört die Tanzfläche nur den Teilnehmern an der Rechnung. In bester Kleidung und bei flotter Musik ziehen die Burschen und Mädchen zum Anger.

Mit einem Fass Bier auf einer altmodischen Schubkarre, führt der Einschenker den Zug an. Er ist im Kirmesablauf eine wichtige Person, da er die Rechnungs­teilnehmer mit Bier und anderen Getränken versorgt.Der Höhepunkt des zwei­ten Kirmestages ist die „Hammelfahrt" mit der anschließenden „Kirmespredigt".


 


Hammelfahrt

Die Wagen sind mit Bier und anderen Getränken beladen. Auf einem Wagen wird der Hammel mitgeführt, dieser wird am Dienstag geschlachtet und liefert das Fleisch für einige gute Mahlzeiten. Unterwegs treffen sich die Rechnungsgruppen der drei Dörfer, dabei werden Trinksprüche aber auch manche Neckereien von Wagen zu Wagen ausgetauscht.

Natürlich wird bei allen Honoratioren der drei Dörfer ein Ständchen dargebracht, das immer gut belohnt wird. Auf dem Anger angekommen, wird von einem stimmkräftigen Burschen die Kirmespredigt verlesen. Manche bisher unbekannte Missetat kommt dabei an das Tageslicht. Der Versschneider des Ortes sorgt jähr­lich für eine gekonnte Neuauflage. In den Tagen nach Kirmes ist das Hammelessen, dabei wird das Fleisch an verschiedenen Tagen nach Vogteier Tradition zubereitet.

An einem Abend der Woche findet der Schenkabend statt, dabei bringen die Mädchen der Rechnung eine Geldspende mit, da sie nicht an der anteilmäßigen Bezahlung der Rechnung beteiligt sind. Obwohl an den Kirmestagen mehr als sonst verzehrt und getrunken wird, ist das wohl nicht der eigentliche Sinn. Im Vordergrund steht das Einleben in die Dorfgemeinschaft und die Festigung des dörflichen Zusammenlebens. Mancher ehemalige Platzmeister wurde später mit anderen verantwortlichen Aufgaben im Dorf betreut. Ein Brau ist in der Vogtei ziemlich neu und fand zaghaft Eingang, die Kirmesfeier in Straßengemeinschften unter dem Kirmesbaum (Paul Karmrodt)


Bräuche und Begebenheiten

Flügge werden

In der Vogtei lernten die Kinder den größeren Familienverband kennen, wenn sich dieser in der Weihnachtsspinnstube traf, da das schon einige Tage vor Weihnachten stattfand, mussten im Dorf die Termine abgestimmt werden. Die Hauptpersonen waren die Paten der Kinder, die bei dieser Gelegenheit schon das Patengeschenk vor Weihnachten zu den Kindern brachten. Die aufmerksa­men Kinder saßen danach mit gespitzten Ohren und hörten immer wieder gern Familiengeschichten. Weihnachten, aber auch Ostern, wurden die Kinder zu den weiteren Verwandten geschickt, um sich ein Geschenk abzuholen. Dabei woll­ten Onkel oder Tanten natürlich wissen, wie erfolgreich die kleinen Besucher in der Schule sind.

Kinderspinnstube

Die Großmutter eines Mädchen oder Jungen wollten auch die Freunde oder Freundinnen des Enkels oder der Enkelin kennen lernen. Sie wurden zumeist in der Osterzeit zur Oma, gelegentlich auch zur Tante eingeladen. Da gab es gute Happen, die zu Hause nicht alle Tage auf dem Tisch standen. Der Ursprung die­ses Brauches mag weit zurück liegen, damals sollten die Kinder schon den wei­teren Dorfverband kennen lernen, um zu einer Gemeinschaft zusammenzuwach­sen.

Die siebte Klasse musste sich bewähren

Vor dem Zweiten Weltkrieg wurden alle Volksschüler nach dem Besuch der ach­ten Klasse aus der Schule entlassen. Wenn die Ostertage vorbei waren, versam­melten sich die Mädchen und Jungen der zukünftigen achten Klasse. Die Mädchen hatten von zu Hause einen Besen mitgebracht, unter Aufsicht des Lehrers fegten sie den großen Anger.

Die Jungen dagegen wurden dem Flurschütz unterstellt, der sie in die Riedwiesen führte, wo die Maulwürfe große Haufen gewühlt hatten. Diese mussten mit den Hacken eingeebnet werden. Nach getaner Arbeit führte der Flurschütz die Jungen in die Gemeindeschänke. Unterwegs probierten sie ihren Mut. Dem sonst so würdevoll auftretenden Flurschütz wurde im Sprechchor zugerufen: „Vivat hoch, der Schütz, der hat einen Floh". Natürlich war das Quatsch, jedoch eine Mutprobe zum gestiegenem Selbstbewusstsein. Der Schütz führte die Jungen in den Saal der Gemeindeschänke, wo die Mädchen schon ungeduldig warteten. Hier gab es

 


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für jeden Teilnehmer ein belegtes Brötchen und eine Flasche Limonade. Der Bürgermeister hielt der jungen Schar eine Rede.

Am Nachmittag hatten die Jungen der achten Klasse einen großen Reisighaufen aufgebaut. Im feierlichen Zug wurde aus dem Gemeindebackhaus ein alter Backtrog geholt, der verbrannt werden sollte. Die Jungen der siebenten Klasse standen in Bereitschaft, um das Verbrennen des Troges zu verhindern. Da gab es manchen harten Kampf. Ältere Einwohner erzählten, dass früher zahlreiche Dorfbewohner bei diesem Ritual zugegen waren. Je nach Erfolg der neuen Achtklässler, wurden sie im neuen Schuljahr von den jüngeren Mitschülern geachtet.

Durch diese Bräuche wuchsen die jungen Vogteier in die Familien- oder Dorfgemeinschaft hinein. Die genannten Bräuche wurden bis etwa 1934 noch auf diese Weise durchgeführt. Zu dieser Zeit wurde aber auch die Jugend schon tüchtig in die Wehrerziehung der Nazis eingespannt, da war für solche Bräuche kein Platz mehr. Es ist aber bei allen genannten Bräuchen unschwer zu erkennen, dass die Vogteier Wert darauf legten, die Jugend gut und gründlich in den Familien- oder Gemeindeverband zu integrieren; in anderen Orten mag das auf ähnliche Weise geschehen sein. (Paul Karmrodt)

Die Vogtei und die Vogteier im 19. Jahrhundert

1802 wurde der mainzische Anteil an der Vogtei von den Preußen übernommen,  zwei Jahre später auch der sächsische Anteil. Nun waren die Vogteier im richti­gen Sinne keine   Vogteier mehr. Wegen der Eigentümlichkeit der dreiherrschaftlichen Verwaltung, auch wegen unverwechselbarer Traditionen und Eigenschaf­ten, hat sich der Landschaftsbegriff für  diese drei Dörfer bis auf den heutigen Tag erhalten.

Preußen brauchte 1832 Geld, deshalb wurde ein Salzzwang eingerichtet, für jede Person im Haushalt mussten jährlich 12 Pfund Salz gekauft werden, für ein Kind drei Pfund, für Großtiere acht Pfund. Die Einwohner fragten, ob man schon jemals ein Tier beim Verzehr von Salz gesehen hätte.

Nun mussten die ehemaligen Vogteier auch Soldaten werden. 1833 wurden die Zollgrenzen aufgehoben, der Schmuggel, den auch Vogteier tüchtig betrieben

 hatten, hörte auf. 1840 hatte Oberdorla 1571 Einwohner, die heimatliche Scholle, konnte nicht mehr alle Einwohner ernähren. Es begann die Auswanderung nach Amerika.

Auswanderschiff,, Thüringen "


Nach Forschung der Chronisten ist bekannt, dass von diesem Zeitpunkt an etwa 510 Oberdorlaer nach Amerika auswanderten. Ihr Ziel war sehr oft Quinci/Illinois. Dort wohnen noch jetzt Nachkommen dieser Oberdorlaer. Mit sechs Nachkommen dieser ehemaligen Auswanderer besteht Verbindung mit Oberdorlaern. Die Vogteier mussten nun im preußischen Heer dienen. Sie taten das zunehmend mit viel Stolz, sie liebten es, sich im strengen Befehlston der Preußen behaupten zu können.

Wenn sie vom Militärdienst entlassen wurden, wollten die meisten ihre alte Vogteier Tracht nicht mehr anziehen, somit begann der Verfall der Vogteier Trachten zuerst bei den Männern.

Der damalige Ortschronist und Müller Simon Stollberg hinterließ uns ein hand­geschriebenes Zeitbild des Dorfgeschehens. Diese Arbeit wurde vom jetzigen Ortschronisten neu bearbeitet.

Die böse Kartoffelkrankheit Phytophtora (Kraut und Knollenfäule) hatte auch unsere Gegend erreicht, sie richtete große Schäden an. 1846 wurde das Gasthaus Gunzelhof erbaut, südlich von der Stelle, an der einst das Siechenhaus Gunzelhof stand. Die ersten so genannten Kunststraßen wurden gebaut. 1851 begann eine Auswechselung der Feldflächen zwischen Ober- und Niederdorla. Da beide Dörfer einst eine gemeinschaftliche Flur hatten, war diese Separierung und Zusammenlegung notwendig geworden. Schon 1862 wurde in den Vogteidörfern mit der gesetzlich vorgeschriebenen Separation begonnen. Die Feldflächen hat­ten durch die ständige Realteilung teils nur noch eine Breite von weniger als 10 m. Es wurde z. B. nachgewiesen, dass ein Landwirt Götz in der Bahnhofstraße etwa 70 Morgen Land hatte (17,5 ha). Diese Feldstücke lagen in der Flur auf 160 verschiedenen Stellen. Dabei kann angenommen werden, dass dieser Landwirt als damaliger „Großbauer" schon verhältnismäßig größere Grundstücke bewirt­schaftete.

Diese Separation war, wie auch in anderen Orten, schwierig. Jeder fühlte sich bei den neu zusammen gelegten Flächen benachteiligt. In der Flur wurden jedoch neue und breite Wege angelegt, die zumeist mit Obst bepflanzt wurden. Bis 1868 wurden die Bekanntmachungen der Gemeinde wöchentlich zu bestimm­ter Zeit unter der Heimbürgerlinde des Angers bekannt gegeben. Nun wurden diese Nachrichten in den Straßen durch den Gemeindediener ausgerufen. Durch den Krieg 1870/71 wurden durch Gefangene Pocken in den Ort geschleppt, auch die Bräune und der Milzbrand bei Schweinen traten auf, 200 Schweine verende­ten.

Von 1872 an wurde im Ort mit der Dreschmaschine gedroschen. Das metrische System wurde gesetzlich eingeführt, nun wurde in ganz Deutschland nach ver­bindlichen Gewichten, Längen- und Flächenmaßen gearbeitet. Wer bisher an eine Kirche, an ein Kloster, an einen geistlichen oder weltlichen Herren auf Häuser oder Grundstücke jährliche Zinsen bezahlt hatte, musste diese durch einen 25-fachen Betrag ablösen, der aber vom Staat gestundet wurde.


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Bahnhof in Oberdorla


1881 musste das Bierbrauen im Brauhaus, in der Brauhausgasse eingestellt wer­den. Das war bis zu dieser Zeit ein besonders schönes Erlebnis für die Rechnungsburschen. Die letzten Holzschornsteine mussten abgerissen werden. Ein Arbeiter verdiente damals 13 Pfennig je Stunde, ein Vorarbeiter 16 Pfennig. Dafür standen die Arbeiter mit Mühlhäuser Arbeitsstelle täglich um 3 Uhr aus ihrem Bett auf, liefen mit Arbeitskollegen nach Mühlhausen, wo um 5 Uhr die Arbeit begann, die im Sommer bis 19.00 Uhr ging.

In Oberdorla wurden zahlreiche Vereine gegründet, der Bildungsverein hatte 170 Mitglieder. Jährlich führte dieser Verein und auch die anderen Vereine ein oder zwei gute Theaterstücke auf. In vielen Jahren wurden die Aufführungen sogar in anderen Orten aufgeführt. Oberdorla hatte 2123 Einwohner, in manchen Jahren wurden 90 Geburten gemeldet. Ein Oberdorlaer Einwohner namens Koch war fern seiner Heimat Millionär geworden. Seine Geschwister erbten 102 000 Mark, die Gemeinde Oberdorla 5000 Mark. 1906 wurde die Vogtei-Apotheke eröffnet.

Das 20. Jahrhundert

1900 zählte man in Oberdorla 2500 Einwohner in 462 Wohnhäusern, in denen 541 Haushalte wohnten. 136 Pferde, 570 Kühe, 2635 Schafe, 1248 Schweine und 636 Ziegen standen in den Ställen des Dorfes. Weiterhin wurden 122 Bienen­stöcke gezählt, 4754 Stück Federvieh gackerten und schnatterten in den Gärten und Höfen. 1901 wurde die Oberdorlaer Kirche nach langer Reparaturarbeit wie­der eingeweiht.Alle Oberdorlaer waren nun auf ihre Zugehörigkeit zum Preußentum sehr stolz. So wurde 1902 die 100-jährige Zugehörigkeit zu Preußen groß gefeiert.

Landwirtschaftliche Maschinen und Geräte erleichterten den Landwirten die schwere körperliche Arbeit. Die größte Arbeitsersparnis brachte die Dampfdreschmaschine. Die Steinbruchfirma Schilling gab wohl 40 Oberdorlaern gute Verdienstmöglichkeiten im Senkig-Steinbruch. Dazu verdienten ungefähr zehn Oberdorlaer Fuhrleute ein gutes Zubrot, indem sie die Kalksteine vom Steinbruch nach Mühlhausen fuhren. 1905 wurde die Oberdorlaer Genossen­schaftsmolkerei gegründet, im gleichen Jahr kam es zur Gründung einer Konsumgenossenschaft. Die Oberdorlaer Badeanstalt wurde durch Eigen­initiative eines Einwohners errichtet. 1910 bekam der Ort elektrisches Licht und 1911 fuhr am 30. Juni der erste Zug auf der normalspurigen Eisenbahnstrecke Mühlhausen-Treffurt.250 Obergorlaer arbeiteten in Mühlhausen, im Ort gab es noch 455 Gehöfte mit mehr oder weniger Viehhaltung. 1911 nahmen 2275 Kirchgänger am Abendmahl teil. 1914 wurde inm Garten der Pfarre das Jugendheim gebaut.Wie sich später herausstellte. Gab es dabei manche baulichen Mängel.


Oberdorla in der Zeit der Weltkriege

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Am 3. August 1914 wurden von den 139 Pferden 40 der besten Tiere gemustert und sofort zu Sammelstellen gebracht. Durch den Weltkrieg 1914 und der damit verbundenen Seesperren, gab es bald Not. Fleisch und andere Lebensmittel gab es nur noch auf Karten. Alle möglichen Dinge wurden gesammelt und einer Rückgewinnung zugeführt, die aber zumeist schlecht klappte. Sogar Maikäfer mussten gesammelt werden, um sie im Gaswerk zu verbrennen. Es mussten hier und auch anderswo Flüchtlinge aufgenommen werden. Hier und in umliegenden Orten waren die Leute aus dem Ort Regisheim/Elsaß angesiedelt. Zwischen die­sen und den Ortsbewohnern entstand ein sehr gutes Verhältnis. Die Regisheimer Frauen halfen in der Landwirtschaft, dafür hatten sie hier gute Kost. Als der Krieg zu Ende war, hatten 145 junge Menschen des Ortes ihr Leben lassen müssen. 1924 wurde ein neuer Friedhof eingerichtet, eine Kapelle für Trauerfeiern wurde gebaut. Die Friedhofskapelle wurde als Gedenkstätte für die Gefallenen des 1. Weltkrieges eingerichtet, die Namen der Gefallenen wurden an einer Seitenfläche der Kapelle in Stein gehauen.


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                                       Vogteier Notgeld.

Schon 1922 erweckten die Dorfbewohner, besonders der Bildungsverein, die kul­turelle Tätigkeit zu neuem Leben; es wurde im gleichen Jahr ein schönes Trachtenfest gefeiert.

Doch die nächsten Jahre waren bittere Notjahre für Landwirte und für die übri­ge Bevölkerung. In Oberdorla, wie auch in allen anderen Orten des Reiches, gewann der Volksverführer Hitler viele Anhänger. Es folgte nach seiner Machtübernahme von 1933 eine kurze Blütezeit. Der Oberdorlaer Steinbruch wurde wieder eröffnet, Karl Weiß gründete eine Käserei, es begann ein wirt­schaftlicher Aufschwung.


Im Dorf gab es einige Baumschulen. Die Baumschule von Johann Kremberg wurde schon vor dem I. Welk:rieg gegründet, unter dem Gärtnermeister Paul Weißenborn und später dessen Sohn Eberhard wurde der Gartenbaubetrieb zu einem großen Spitzenbetrieb. Karl Weiß baute aus kleinen Anfängen eine Käserei

 auf, die später unter der Leitung des Sohnes Helmut wegen der Qualitätserzeugnisse weit und breit bekannt wurde. In der Schuhfabrik von Martin Erdmann waren wohl    20 Fachleute beschäftigt.

 Die Raiffeisengenossenschaft hatte Maschinen angeschafft, die den Landwirten die schwere Arbeit abnahmen, die Genossenschaft stand unter der bewährten Leitung des Heimatdichters Heinrich Erdmann.

Friedrich Erdmann hatte schon zu Beginn der zwanziger Jahre ein Bankgeschäft gegründet. Nachdem dieses erfolgreich lief, baute Erdmann 1938/39 eine Maschinengenossenschaft auf. Das war für die damalige Zeit weitblickend, für geringes Geld konnten Landwirte Maschinen ausleihen. Auch Lohnfuhren wur­den mit den Traktoren der Bank durchgeführt.

1939 kaufte die Maschinengenossenschaft der Bank einen großen Bagger, um den Abraum im Steinbruch schneller abräumen zu können. Das widersprach den Interessen der damaligen Naziführung, der Bagger wurde abgeholt, um an einer Autobahnbaustelle eingesetzt zu werden. Inzwischen hatten sich auch einige Landwirte Kleintraktoren angeschafft.

Als 1939 der Krieg begann, wurden die ersten Pferde gemustert. Die Arbeits­kräfte wurden knapp, wer Geld verdienen wollte, arbeitete am Westwall, in der Rüstungsfabrik im Mühlhäuser Stadtwald oder an anderen Vorzugsobjekten, wo mehr Geld verdient wurde. Am Hainichwald entlang, in der Oberdorlaer Flur, war die Streckenführung der Autobahn vermessen worden und schon abgesteckt, durch den Krieg wurde sie nie gebaut. 1945 eroberten die Amerikaner Oberdorla, da Widerstand vorhanden war, schössen die Amerikaner in das Dorf, es brannte an 18 Stellen. Zehn Soldaten oder Einwohner mussten ihr Leben lassen. Da viele Oberdorlaer vermisst waren, konnte die traurige Bilanz für den Ort erst später erstellt werden; 215 Einwohner aus Oberdorla waren im Zweiten Weltkrieg gefallen oder vermisst. Innerhalb von 31 Jahren, von 1914 bis 1945, hatten 360 Oberdorlaer ihr Leben lassen müssen. Ströme von Tränen waren in diesen bei­den unseligen Kriegen geflossen. Der letzte Oberdorlaer kam einige Tage vor Weihnachten 1949 aus der russischen Gefangenschaft zurück. Die Gefangenen hatten in Russland viel Misswirtschaft gesehen. Von den Wänden verkündeten Plakate: „Von der Sowjetunion lernen heißt Siegen lernen".


 


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Nachkriegs-Oberdorla

Auch Vogteier Patrioten nahmen 1953 am Volksaufstand gegen die Russen teil. Ein Einwohner aus Langula musste dafür in das Gefängnis. Mancher Vogteier setzte sich unter Gefahren in den Westen ab. Jeder versuchte Bespitzelungen zu entgehen. Als das Fernsehen eingeführt worden war, galten die Einwohner mit einer so genannten Westantenne als Volksverräter. Selbst wer nahe Verwandte im Westen hatte, bekam keine Einreise nach dort. Der Eintritt in die landwirt­schaftliche Produktionsgenossenschaft wurde mit Druck und Täuschung erzwun­gen. Zuerst traten Einwohner in diese Genossenschaft ein, die an den Staat ihr Pflichtsoll an Getreide, Fleisch und anderen Produkten liefern mussten, die aber zur Erfüllung des Solls keine Grundlage hatten, da vielleicht der Ehemann gefal­len war. Endlich 1960 wurde  die  2  LPG gegründet, wo sich Landwirte mit gut geführten Wirtschaften zusammenfanden. „Wenn wir schon in der LPG sein müssen, wollen wir auch zeigen, dass wir Leistung bringen können", das war die Parole der neuen Genossenschaft. Nach zahlreichen An- und Zusammen­schlüssen, auch von Gärtnerischen Genossenschaften, entstand in Mühlhausen und in der Vogtei die Genossenschaft „Thomas Müntzer" Durch ständige Weiterbildung und durch fähige Führungskräfte wurde diese Genossenschaft eine der besten in Thüringen. Es entstanden große Obstanlagen, die Leitung schaffte einige gute „Standbeine", durch die alle Mitglieder zu gutem Verdienst kamen. Auch die Förderung der Kultur wurde von der Genossenschaft nicht vergessen. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands vor 15 Jahren wurden die Flächen der Genossenschaft von einer Holding übernommen. Einige Wiedereinrichter haben von der ehemaligen LPG Flächen übernommen. (Paul Karmrodt)

                   

Der Trachtenverein pflanzt einen Baum anlässlich der Wiedervereinigung

 

Vogteier Trachten

 


Brautpaar in Vogteier Tracht              Rückansicht der Braut

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Ein Brautpaar um 1750

Die Braut

Sie trug als Kopfschmuck eine kunstvolle Haube aus Spitzen und seidenen Bändern. Am Hinterkopf wurde sie durch ein kunstvolles Blumenteil verziert. Die Haube wurde Schnürheid genannt. Im Blumengebinde der Haube wurden die vier Jahreszeiten dargestellt:

Tannenbäumchen    - Winter

Bunte Blumen      - Frühling

Ährengelb            - Sommer

                           Herbstzeitlose       - Herbst

Das Blumengebinde bekam die Braut vom Bräutigam geschenkt. Der Aufbau der Haube ist kompliziert und die Herstellung sehr zeitaufwendig.

Zur Tracht gehörten weiter:

• eine weiße Eeinenbluse mit Puffärmeln, Spitzen und Stickereien (Name und Jahreszahl),

• ein buntes Schnürmieder, mit grünen Seidenbändern besetzt und bei wohl­
habenden Eeuten noch mit Silberfäden verziert,                       <

• ein Rock aus Beiderwand, er mußte mindestens 100 Falten haben. Die Farbe war schwarz und der Saum war außen mit einem grünem und innen mit einem

 

schmalen roten Band besetzt,

• eine weiße Spitzenschürze bestickt mit Initialen der Braut und Jahreszahl der Heirat,

• ein kostbares Schultertuch, weiße Handschuhe, weiße Strümpfe und Schnallenschuhe,

• als Schmuck trug die Braut den Mahlschatz, er besteht aus Silberketten und wertvollen Münzen und wurde von Generation zu Generation vererbt. Die Braut erhielt ihn am Tag der Vermählung (Vermählungsschatz) vom Bräutigam als Geschenk. Unter der Tracht wurden weiße Leinenhemden getragen. Die gesamte Tracht wurde in mühsamer Handarbeit hergestellt.

Hochzeitszug um 1830

Der Bräutigam

Er trug einen langen Rock (Mantel) mit zwei Reihen Knöpfen aus Metall oder Silber, 24 Stück an der Zahl, dazu vier auf jedem Ärmel. Die Farbe der Mäntel war dunkelblau, dunkelgrün oder schwarz. Es soll aber auch weiße Mäntel gegeben haben.

Zur Tracht wurden weiterhin getragen:

• ein weißes Leinenhemd mit weiten Ärmeln, die mit Stickereien verziert waren.


eine bunte Weste, meist mit Blumenmustern und farbigen Glasknöpfen

besetzt.                                               :

eine Hose aus schwarzem Samt, noch früher aus weißem oder gelben

Wildleder.

weiße Zwickelstrümpfe, die mit grünen Bändern gehalten wurden,

Schuhe mit Silberschnallen bildeten den Abschluss,

als Kopfbedeckung ein Dreispitz auch Dreimaster genannt,

um den Hals trug man ein seidenes Schal- oder Halstuch.

In der Hand trug der Bräutigam ein Sträußchen aus Rosmarin und den Jo-Lappen (Ja-Lappen). Er wurde ihm am Tag der Verlobung von der Braut geschenkt. Es war eine frü­here Funktion der Trauringe. Auf dem Lappen waren die Jahreszahl der Trauung und die Namenszeichen eingestickt. Bei der späteren Taufe wurde das Kind damit bedeckt. Die letzte Trauung in dieser Tracht soll 1865 stattge­funden haben.

Nach der Hochzeit wurde die Tracht an Sonn- und Feiertagen getragen.

Brautpaar in Vogteier Tracht

Die Sonn- und Festtagstracht

Der Kopfschmuck der Braut wurde nach der Hochzeit nicht wieder getragen. Dafür kam als Kopfbedeckung die Bätze, auch Schnappenhaube genannt, hinzu. Es war eine flache schwarze Haube mit schwarzen Bändern und hinten mit far­bigen Glasperlen bestickt. Vorn war sie mit dem sogenannten Fittchlappen, einem kunstvoll zusammen gelegtem Tuch, besetzt.

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Bei einem Trauerfall wurden die Bänder mit weißer Seide eingefasst, sie hieß dann Schnorrnbätze. Die weiße Schürze wurde durch eine dunkelblaue oder schwarze Glanzschürze ersetzt.


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Großfamilie um 1860

Die Arbeitstracht der Frauen

Sie war wesentlich einfacher und schmuckloser gehalten, da sie ja einen prakti­schen Zweck zu erfüllen hatte.

Sie bestand aus einem derben weißen Leinenhemd, einem derben dunkelen Rock, einem schwarzen Mieder und der dunkelblauen Glanzschürze. Unter dem Rock wurden bis zu sechs Unterröcke getragen. Grüne, blaue oder violette Strümpfe und derbes Schuhwerk wurden getragen. Als Kopfbedeckung wurde der Huller, ein langer Tuchwickel, ringförmig auf dem Kopf getragen.

Die Arbeitstracht der Männer

Männer trugen ein weißes Leinenhemd, eine derbe Leinenhose und einen schmucklosen halblangen Kittel, den sog. Spanskittel. Dazu wurden weiße oder farbige Zwickelstrümpfe und Schnallenschuhe, im Winter Stiefel, getragen. Als Hals- und Kopfschmuck benutzte man ein Halstuch und eine weiße oder blaue Zipfelmütze, auch Klunker genannt.

Die Kindertracht

Im wesentlichen wurden die Kinder wie die Erwachsenen gekleidet. Nach alten Überlieferungen sollen die Kittel der Jungen am Sonntag mit der Innenseite nach außen getragen worden sein.


Die neue Tracht

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts zeicAiete sich eine Wende bei den Trachten ab. War die alte Tracht aus einheimischem Material, aus Wolle und Leinen gefertigt, wurden nun wertvollere Materialien verwendet. Samt und Seide waren die Hauptkomponenten der neuen Tracht.

Vogteier Alltagstrachten

Die Eigenanfertigung trat in den Hintergrund, es wurde vieles käuflich erworben. Die Vogteier wurden weltoffener und passten sich der allgemeinen Mode mehr und mehr an. (Eckhard Naumann)